Der Text ist ein Kurzskript zu einer
BIONAUT - Präsentation
"Haie - Biologie und typische Unfälle" bzw. "Haie - Mythos Killer"
Eine praxisorientierte Einführung in die Biologie von und Interaktion mit Haien von Dipl.-Biol. Uli Erfurth, Leiter des Ressorts Umwelt und Wissenschaft der CMAS Germany v. 0204j
Obwohl Haie, die zu den Knorpelfischen zählen, oft als Haifische bezeichnet werden, sind sie oder ihre nächsten Verwandten, die Rochen, mit einem Standard-Knochenfisch etwa so wenig/viel verwandt wie ein Reptil mit einem Vogel.
Die typischen Merkmale eines Hais sind sein Knorpelskelett, die Haihaut mit den zahnähnlichen Placoidschuppen, 5 - 7 Kiemenspalten sowie das Fehlen einer Schwimmblase. Haie leben seit etwa 400 Millionen Jahren in unseren Ozeanen, bis heute haben etwa 460 Arten überlebt.
Die wichtigsten Sinnesorgane:
1. Haie werden in erster Linie durch Geräusche angelockt. Sie reagieren stark auf unregelmäßige, pulsierende Töne zwischen 20 und 300 Hz (Schwingungen pro Sekunde), eine Frequenz, die aufgeregte oder sterbende Fische produzieren. Sie können Haie über Kilometer zu einer verletzten Beute führen. Auch Planschgeräusche von Schwimmern oder Klopftöne locken Haie an.
2. Damit Haie Gerüche wahrnehmen können, muss (in den meisten Fällen) eine Strömung vorhanden sein, gegen die der Hai auf der Suche nach der Geruchsquelle anschwimmt. Menschenblut und Urin sind allein nicht geeignet, um Haien ‚Beute’ zu signalisieren! Graue Riffhaie registrieren Extrakte von Fischmuskelfleisch noch in einer Verdünnung von 1:10 Milliarden.
3. Haie nehmen feinste Wasserbewegungen wahr. Die entsprechenden Sinneszellen befinden vor allem im Seitenlinienorgan entlang der Körperseiten, sowie im Grubenorgan. Besonders effektiv werden Schwankungen im Wasserdruck gemessen, die ihre Quelle ungefähr zwei Körperlängen vom Hai entfernt haben. Zusätzlich besitzen Haie den klassischen „Tastsinn“. Haie erfassen damit die Festigkeit eines Objekts, indem sie es leicht berühren oder rammen. Weitere Mechanorezeptoren sind bekannt, aber noch nicht sehr gut untersucht.
4. Auch bei schlechten Lichtverhältnissen orientieren sich Haie noch über die Augen. Hinter der Netzhaut liegt zur Lichtverstärkung eine reflektierende Schicht, das Tapetum lucidum. In der Morgen- und Abenddämmerung ist es „aktiv“, tagsüber kann es mit Melanin bedeckt werden.
5. Mit den Lorenzinischen Ampullen registrieren Haie geringste elektrische Felder bis zu 0,01 Mikro-Volt/cm, wie sie von lebenden Organismen als Produkt aus Muskelaktivität und elektro-chemischen Reaktionen erzeugt werden. Das Elektro-Sinnesorgan befindet sich im Bereich der Schnauze, des Unterkiefers und um die Augen. Das Organ dient auch zur Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes und damit zur Orientierung z.B. bei Wanderungen. Es ist obendrein wärmesensitiv.
6. Im Inneren des Maules liegen mikroskopisch kleine Sinnesknospen, mit denen der Hai seine Beute auf Geschmack testet. Dabei drückt er das unbekannte Objekt zwischen seinen Kiefern gegen den Gaumen, ohne zuzubeißen. Ungenießbares, z.B. Menschenfleisch wird wieder ausgespuckt.
Haiunfälle:
Im Zeitraum von 1990 - 1999 wurden lt. ISAF (International Shark Attack File) 536 Haiangriffe registriert, eingeschlossen simple „Rempler“. 68 Attacken gingen tödlich aus. Jährlich und weltweit sterben lediglich 5 bis 10 Menschen an den Folgen von Haibissen. Die drei küstennah lebenden Arten Weißer Hai (Carcharodon carcharias), Tigerhai (Galeocerdo cuvier) und Bullenhai (Carcharhinus leucas) führen die Unfallstatistik an. Darüber hinaus gibt es etwa 30 weitere Spezies (u.a. Schwarzspitzenhaie, Ammenhaie, Zitronenhaie, Makos, Weißspitzen-Hochseehaie und Graue Riffhaie), die schon in einen Unfall verwickelt waren.
Generell wurden bisher 3 Formen von Hai-„Angriffen“ unterschieden:
1. „Bumping“, bei dem das Opfer zur „Identifikation“ lediglich angerempelt wird.
2. „Hit and Run“: Der Hai beißt einmal zu und lässt dann von seiner Beute ab. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um sogenannte „Gaumenbisse“ im Rahmen einer Geschmacksüberprüfung
3. „Sneak“: ein Angriff mit hoher Geschwindigkeit von der Seite und/oder unten. In dieser Form greifen Weiße Haie bevorzugt Robben an. Der Hai beißt das Opfer und zieht sich wieder zurück. Ist die Beute durch Blutverlust genügend geschwächt, attackiert er erneut. Menschen stellen für Haie etwas Unbekanntes dar und da sie sich jedem fremden Objekt mit Zurückhaltung nähern, wird angenommen, dass bei Unfällen eine missverständliche Situation für den Hai vorlag, bzw. der Mensch missverständlich gehandelt hat. In einigen Fällen wurde auch eine Selbstverteidigung provoziert.
Typische Haiunfall-Faktoren sind:
Strömung und Beutegeruch im Wasser (Fischköder, Fischabfälle, Abwasser),
Planschen oder andere Geräusche / Schwingungsquellen sowie schlechte Sicht, Dämmerung oder Dunkelheit, anwesende Beutetiere, einzelne Person, kontrastreiche Bekleidung Die vereinzelten ‚Angriffe’ von Weißen Haien (Sneak) und Schwarzspitzenhaie (Bumping, Hit and Run) auf Surfer sind nach heutigem Wissensstand keine Verwechslungen mit ihrer bevorzugten Beute, Robben, sondern vielmehr ein ‚Spielverhalten’, bei dem die Surfer den Jagdtrieb des Hais auslösen.
Ebenfalls sicher ist: Wenn ein Hai einen Menschen beißt, dann niemals, um ihn zu fressen. Allerdings kann Hunger eine Herabsetzung der Annäherungshemmschwelle des Hais an ein unbekanntes Objekt auslösen. Auch nähern sich eventuell junge Männchen Tauchern „hormonbedingt“ über das üblich Maß, da sie sich vor Erreichen der Geschlechtsreife mit anderen Männchen messen und sich in dieser Zeit auch an unbekannte Objekte heranwagen, um ihre Stärke und Zielstrebigkeit zu testen.
Richtiges Verhalten im Umgang mit Haien:
Dr. Erich Ritter beschreibt in seinem Buch „Über die Körpersprache von Haien“ und „Mit Haien sprechen“ wie die Signale eines Hais gedeutet werden können und wie die Signale von Menschen von Haien interpretiert werden. Er ist der Meinung, dass es keine natürlich aggressiven und gefährlichen Haie gibt. Die einzige Gefahr, die bei einer Begegnung mit ihnen entstehen kann, ist das falsche oder unüberlegte Handeln des Menschen. Interaktions-Kreise: Den ersten Punkt, der eine primäre Reaktion bei einem Hai in Bezug auf seine Schwimmrichtung als Anpassung an die Position einer Person im Wasser hervorruft, bezeichnet Ritter als äußere Schwelle = äußere Kugel = äußeren Kreis: Der Hai wird eine Richtungsänderung vornehmen, um nicht mit der Person interagieren zu müssen. Dieser Anpassungswinkel gibt Auskunft über die Forschheit (kleiner Winkel) bzw. Zurückhaltung (großer Winkel) des Hais. Die geringste Distanz, in der sich ein Hai an eine Person oder ein anderes Objekt im Wasser in der Anfangsphase heranwagt, nennt er den inneren Kreis. Dieser variiert art-, geschlechts- und altersabhängig. Meist hat er einen Radius von 1,5 bis 2 Körperlängen des Hais. Zwischen der äußeren und inneren Schwelle befindet sich die Interzone.
Die Hot Zone schließlich ist der Bereich zwischen der inneren Schwelle des Hais und der Person. In den meisten Fällen wird ein Hai nie in diese Zone kommen. Wenn doch, gilt: Nicht „die Nerven verlieren“ und unter keinen (!) Umständen das Tier schlagen! Stattdessen sollte man mit den Flossen oder der Hand Wasser gegen das Tier drücken. Wenn der Hai darauf keine oder nur eine undeutliche Reaktion zeigt, muss (!) man das Tier herankommen lassen, bis man es mit der Hand oder dem Fuß sanft (!) „wegdrücken“ kann.
Haie zeigen bei ihren Annäherungen an den Menschen bestimmte Muster:
Passieren: Hai befindet sich am äußeren Kreis, Verhalten ist oft Teil einer ausdauernden Begegnung mit wechselnden Mustern, dann als deutliches Interesse zu interpretieren
frontales Anschwimmen: Auskundschaftsverhalten, keine Erhöhung der Schwimmgeschwindigkeit, beim Erreichen des inneren Kreises erfolgt eine 180o-Drehung; der Hai provoziert damit eine mögliche Flucht, d.h. beute-ähnliche Reaktion des unbekannten Objekts!
seitliches Anschwimmen: Hai kommt von der Seite, schwimmt zweimal vorbei (beim zweiten Passieren näher), Auskundschaftsverhalten; beim Weißen Hai: großes Interesse
Umrunden: Auskundschaftsverhalten; kein Verhalten, das baldigen Angriff signalisiert
Aufsteigen: primär bei Weißen Haien; sie kommen langsam und nahezu senkrecht aus tieferen Regionen und enden so auf Körperhöhe des Tauchers; Auskundschaftsverhalten, das auf großes Interesse schließen lässt! Beim Grauen Riffhai (Carcharhinus amblyrhynchos) ist ein sogenanntes agonistisches Verhalten beschrieben worden: Wenn er sich bedroht fühlt, weil er von einem Taucher in die Ecke getrieben wurde oder er seine „Privatsphäre“ verletzt sieht, krümmt er den Rücken, richtet die Brustflossen nach unten und zeigt übertriebene Schwimmbewegungen.]
Mit zunehmender Bedrängnis steigt die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs. Neuere Forschungsergebnisse lassen jedoch vermuten, dass es sich bei den auffälligen Bewegungen eher um von Saugfischen ausgelöste Verhaltensweisen handelt.
Der Hai versucht dabei, die seine Sensorik irritierenden Symbionten „abzuschütteln“ oder sie an weniger störenden Stellen zu repositionieren.
andere Verhaltensweisen:
Kiemenspreizen: ohne Signalwirkung
Gähnen: der Hai öffnet langsam sein Maul und stülpt den Kiefer aus; ohne Signalwirkung
Beidseitiges Senken der Brustflossen: Erhöhung der seitlichen Körperoberfläche, die Manövrierfähigkeit zum schnellen seitlichen Ausweichen wird verbessert
Augenrollen: Verhalten von neugierigen Haien
Kopfdrehen: Der Hai fixiert dabei das Objekt mit beiden Augen; deutliches Interesse
Schlagfrequenz des Schwanzes: sich erhöhende Frequenzen und Schwanzversteifen deuten auf Erregung
Gaping/Maulen: der Hai öffnet leicht das Maul, ohne dass dabei die Zähne sichtbar werden;
Drohverhalten oder Verhalten zur Etablierung der Hierarchie. Ruhe bewahren! Interaktionskonzept ADORE-SANE: Hai- und menschliches Verhalten beeinflussen sich!
Haie, die sich für eine Person „interessieren“, schwimmen bei Annäherung zumeist auf gleicher Höhe oder unterhalb von ihr, selten darüber. Haie wählen sich eine Position, die ihnen das Objekt mit größtmöglichem Kontrast erscheinen lässt. Situation: Ein Taucher, der aus technischen Gründen mit sich selbst beschäftigt ist, ist oft nicht in Lage die Situation als Ganzes zu erfassen.
Die Kontrolle über die Situation ist vordringlich und kann eine Kettenreaktion verhindern. Activity, der wohl wichtigste menschliche Faktor: Der Hai interpretiert die menschliche Aktivität und reagiert, z.B. auf das Harpunieren von Fischen. Auch Schwimmer und Schnorchler locken durch Geräusche und Schwingungen Haie an.
In diesem Fall gilt: aufhören zu schwimmen, vertikale (!) Position einnehmen, Beine hängen lassen und diese nicht bewegen! Vermeiden Sie zuckende Bewegungen und zu planschen. Damit liefert man dem Hai kein Beuteschema.
Interessierte Haie werden beginnen, die Person im Abstand von zwei Körperlängen (Seitenlinienorgan!) zu umrunden. Befindet man sich zu zweit im Wasser, sollte man sich etwa eine Körperlänge voneinander entfernen; dadurch wird der Hai die zwei Personen als einzelne, größere Struktur wahrnehmen und eine größere Distanz einnehmen. Sollten die Kreise des Hais enger werden, so schwimmt man, zusammen und von seitlich-vorn, auf den Hai zu, um dessen Verhaltensmuster zu unterbrechen.
Nervousness:
Ein nervöser Mensch verliert schnell den Überblick über die Situation. Nervosität kann zu Angst und Panik und damit zu einer immer weniger kontrollierten Körpersprache führen. Je ruhiger und gelassener man im Wasser ist, desto „uninteressanter“ wird man für den Hai.
Wollen Sie dagegen Haie sehen, tauchen Sie mit dem Unerfahrensten und „Zappeligsten“ aus der Gruppe!
Experience: Erfahrung mit der jeweiligen Haiart beeinflusst die Einschätzung einer Haibegegnung wesentlich, wobei theoretisches Wissen nicht oder nur wenig zählt. A
ls Abkürzung des ADORE-SANE-Konzeptes empfiehlt sich die „Kurzanalyse der Absicht“ des Hais:
Stoppen Sie jede unnötige Bewegung, nehmen Sie eine vertikale Position ein und beobachten/bestimmen Sie
die Schwimmrichtung des Hais (Anschwimmwinkel)
die Position des Hais zum Beobachter (unter, über oder auf gleicher Höhe)
das Erscheinungsbild des Hais.
Alternativ zu ADORE-SANE kann ein Taucher den kontrollierten Rückzug erwägen. Ein unüberlegter Rückzug beschwört fast immer die Situation herauf, die man primär verhindern wollte, dass nämlich der Hai dem Menschen folgt: Versuchen Sie, den Blickkontakt zum Hai zu halten!
Verringern Sie ihren Kontrast, das bedeutet: Ist ein Riff in der Nähe, schwimmen Sie „hinein“. Befinden Sie sich im Freiwasser, sollten Sie in Relation zum Hai weiter absinken und dabei eine vertikale Position einnehmen.
Folgt der Hai in einer bestimmten Distanz, ist es das Sinnvollste, auf den Hai zu „warten“, um mit ihm zu interagieren. Ist der Taucher am Aufsteigen und der Hai „wartet“ an der Oberfläche, sollten Sie Aufstiege vermeiden, nach denen Sie an der Oberfläche zum Boot zurückschwimmen zu müssen.
Man steigt entweder direkt unter dem Boot auf oder taucht/schwimmt ruhig direkt von vorne-seitlich auf den Hai zu und zwingt ihn zu einer Reaktion: Anschwimmwinkel kleiner als 30o sieht das Tier als Bedrohung an (‚Bedrohungswinkel’) und bewirken meist seinen Rückzug. „Tote Winkel“ befinden sich auf dem Rücken hinter der ersten Rückenflosse bis zum Schwanz und auf der Unterseite des Körpers.
Es ist oft notwendig, auf einen Hai zuzuschwimmen, um die „haifreie“ Rückkehr zur Ausstiegsstelle zu gewährleisten. Hierbei gilt: Ist der Hai oberhalb des Tauchers, sollte man ihn langsam aber direkt von unten und seitlich-vorne anschwimmen. Befindet man sich über dem Hai, sinken Sie bis auf gleiche Höhe ab und schwimmen dann das Tier aus möglichst spitzem Winkel an. Befindet man sich inmitten einer Gruppe von Haien, sollte man versuchen den „Sonderling“, der sich „irgendwie anders“ verhält, zu konfrontieren oder aber das Tier, das einem am nächsten ist. Reagiert es mit Ausweichen, wirkt sich das meist auch auf die anderen Haie aus.
Gefährdung:
Haie sind durch ihre geringe Nachkommenzahl, lange Schwangerschaft, bzw. späte Geschlechtsreife und langsames Wachstum besonders anfällig für Überfischung. Seit Mitte der 80er Jahre wächst jedoch die direkt und indirekt auf Haie ausgerichtete Fischerei immer schneller, wobei kaum internationale Regeln geschweige denn Kontrollen für die ebenso höchst einträgliche wie mafiöse Haifischerei (Finning!) oder den Handel mit Haiprodukten (Fleisch, Leberöl, Squalen, Blut, Hornhaut, Knorpel, Zähne, Haut) bestehen. Darüber hinaus sterben Haie als nutzloser Beifang in der Thunfischfischerei. 200 Millionen Haie werden jährlich vom Raubtier Mensch getötet - auf einen vom Hai getöteten Menschen kommen etwa 30 Millionen getötete Haie! Bedrohte Populationen könnten sich u.a. nur erholen, wenn sie – wegen der entsprechend späten Geschlechtreife der Weibchen - wenigstens 20-30 Jahre nicht befischt werden würden. Ebenso muss der zunehmenden Zerstörung von küstennahen Gebieten, in der die Haie leben und sich reproduzieren, Einhalt geboten werden.
Text-Copyright: Uli Erfurth, Kontakt:
www.bionaut-online.de
Literatur: Ritter, Erich: Mit Haien sprechen, Kosmos Verlag, ISBN 3-440-09807-9
Veranstaltungen zum Thema Haie:
www.bionaut-seminare.de
Mehr Info über Haie:
www.sharkproject.com