Uummanarsuaq - Senkrecht an Grönlands Ende der WeltVon Wikingern, Grönländern, Eskimos und Inuit Es schüttet den nächsten Tag ohne Unterbrechung. Der Sturm orgelt und bringt das Wasser im Fjord zum Kochen. Mehrere Einsätze sind notwendig, um die Zelte mit Steinen zu beschweren. Der von mir orakelte Wettersturz hat uns erwischt. Ein Elementarspiel tobt mit arktischen Ausmaßen. Der kurze Weg von den Schlafzelten zum Messezelt wird zum Survivaltrip. Zwei Tage sind wir im Basislager angenagelt. Der Himmel schaut grausam aus. Gegenüber auf Angnigitsoq stiebt ein 600 Meter hoher Wasserfall über die senkrechten unbegangenen Platten. Eines der Boote schlägt leck. Das Barometer fällt in den Keller.
Dass es an diesem Platz ernst, aber auch schön sein kann, wussten schon die Wikinger, die vor etwa 1000 Jahren vino Island Grönland besiedelten. Der Entdecker, Erik der Rote, pries damals die Insel an, wie man heute ein Waschmittel verkaufen würde. Wenig später schwammen 28 Drachenboote hinter dem mittelalterlichen Marketingstrategen in der Irmingärsee, doch nur ein Bruchteil der dickbauchigen, offenen Schiffe erreichte in Sturm und Treibeis die Insel. Fast 500 Jahre lang blühte ein Wikingerreich, bis es auf ungeklärte Weise unterging. War es eine Seuche? Waren es die Kümmerlinge, die "Kärlinger", die Eskimos, die den Nordmännern den Garaus machten?
Vor nur unglaublichen 100 Jahren entdeckte der Däne Holms an der Ostküste einen auf steinzeitlicher Stufe lebenden Eskimostamm, der noch nie einen anderen Menschen erblickt hatte! Kein Wunder, dass sich die "Eskimos" - das ungeliebte Wort für Rohfleischesser - als Inuit, Menschen, bezeichnen. Fühlten sie sich doch als einzige menschliche Lebewesen in einer unwirtlichen Welt. Dieses starke Volk, das wohl lebenstüchtigste der Erde, hat seit Jahrtausenden in der Eis- und Meerwildnis der Polargebiete überlebt.
Ab Mitte des 17. Jahrhunderts drangen europäische Seefahrer in den "Arktischen Garten Eden" vor, um die Lampen Europas brennen zu lassen: Der Walfang erlebte vor 200 Jahren eine Blüte. Trinkfeste Dänen, Deutsche, Briten und Skandinavier kopulierten mit lebenslustigen Inuit-Damen. Es entwickelte sich der "Grönländer". Grönland, heute dänisches Protektorat mit einer weitgehenden Selbstverwaltung, ist so gut wie menschenleer. Für uns ist das "greifbare" 130-Seelendorf Augpilaqtoq der Brückenkopf zur Zivilisation.
Wer ins Eiswasser fällt hat wenig Chancen, länger als einige Minuten zu überleben. Tomy Weidmann und Andi Wagner schippern in einer - aus alpinistischer Sicht gesehenen - nautischen Glanzleistung zum unendliche acht Kilometer entfernten Dorf, einem "malerischen Drecknest". Blutige Seehundkadaver liegen an der Pier. Die Gesichter der Inuit sind dunkel und erinnern an Lava. Bunte Häuser ducken sich am idealen Hafen unter gewaltigen Felswänden. Lüstern liebäugeln wir mit einer Erstbegehung, einem Hafenpfeiler. Es riecht nach Fisch und toten Robben.
Die Satelliten-Telefonverbindung nach Deutschland ist problemlos. Nach dem Kontakt mit der Heimat betreiben wir Völkerverständigung, die damit endet - oder beginnt? -, dass eine Kletterelf gegen eine bestens ausgerüstete native Fußballmannschaft in fairem Wettstreit kickt. Walter Obster schildert das "herausragendste Ereignis der Expedition".
Nach dem Anpfiff entpuppen sich unsere Gastgeber als wendige Fußballspieler... Angriff auf Angriff brandet gegen unser Tor. Die Zuschauer beklatschen Freund und "Feind"... Wir spielen in abenteuerlicher Maskerade: Schlafanzughose, Bergschuhe, Anorak und Gummistiefel... Wir alle haben großen Spaß...
Wir verlieren haushoch.
Doch der eigentliche Höhepunkt kommt danach: Wir können in der Schule duschen.
Erstmals nach drei Wochen!
www.michael-vogeley.de
1. Kapitel Acht Jahre und eine Idee Die Anreise Die Erstbesteigung des Ingrids Toppen
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