Die Tour de France - privatDie zweite Köngsetappe, hinauf nach L’ Alpe d’ Huez Um 8:15 Uhr begann die zweite Königsetappe auf dieser Tour durch Frankreich, die Etappe hinauf nach L’ Alpe d’ Huez. Die ersten 33 Kilometer über die N91 waren, um es im Fachjargon auszudrücken, zum Einrollen. Von Vizille bis nach Bourg d’ Oisans, am Fuß der eigentlichen Steigung, erwarteten mich rund vierhundert Höhenmeter. Die Steigung war nicht hart, aber der Gegenwind, der mich an diesem schon kurz hinter Vizille im engen Tal der Romanche begrüßte, machte die ersten Kilometer schwerer als zuvor erwartet. Es war Samstag und wie ich wollten viele das herrliche Wetter in den Bergen genießen. Leider mussten die alle an mir vorbei und so gesellte sich zu dem Wind schon zu dieser frühen Stunde recht viel Verkehr. Auch viele Autos mit Rennrädern und Mountainbikes waren unter den Überholenden, der nächste Wallfahrtsort des Radsports rückte näher, L’ Alpe d’ Huez war nur noch gut zwanzig Kilometer entfernt. Bevor ich mich allerdings an die letzten Kilometer bis nach Boug d’ Oisans machte, genehmigte ich mir eine längere Pause in Livet. Anfangs hatte die Straße noch im Schatten gelegen, doch inzwischen brannte die Sonne trotz der vormittäglichen Stunde auf den Asphalt. Der kalte Brunnen vor dem ehemaligen Haus des Bürgermeisters von Livet kam da wie gerufen. Er diente mir als Abkühlung und meinen Wasserflaschen als natürlicher Kühlschrank.
Die letzten Kilometer bis hinein nach Bourg d’ Oisans waren flach, teilweise ging es sogar leicht bergab bis hinein in den Ort. Doch hinein in den Ort, das war einfacher gesagt als getan. Schon vor Bourg hatte sich ein langer Stau gebildet, in dem ich viele wieder sah, die mich vorher überholt hatten. So erreichte ich gegen 11 Uhr das Zentrum des kleinen Ortes am Ufer der Romanche. Glücklicherweise wollten nicht alle, die dort im Stau standen hinauf nach L’ Alpe d’ Huez, ansonsten wäre das sicher eine Karawane wie zu besten „Tour-Tagen“ geworden. Und glücklicherweise hatte ich noch nicht die berüchtigten Kehren hinauf zu der berühmten Skistation entdeckt, die sich am anderen Ufer des Flusses hinaufzogen, ansonsten hätte ich mir das Unterfangen vielleicht noch mal überlegt. Nein, Spaß beiseite, ich war nun dort und wollte auch das Abenteuer meistern. Was auch immer mich bei beinah dreißig Grad im Schatten dazu trieb, genau wird das wohl nie zu ergründen sein. Bevor es aber los ging füllte ich meine Reserven auf. Der Supermarkt hinter der Brücke über die Romanche war dafür perfekt geeignet. Anschließend machte ich mich gegen zwölf Uhr auf den Weg hinauf nach L’ Alpe d’ Huez.
Schon die ersten Kehren auf der D211 waren abschreckend, die Steigung unbarmherzig und obwohl ich anders als auf dem Weg hinauf zum Mont Ventoux den Großteil meines Gepäcks in Vizille im Hotel gelassen hatte, kam mir diese Steigung wesentlich härter vor. Die Erinnerung an die Fernsehbilder der Tour de France, auf denen nach nahezu zweihundert Kilometern die Profis des US-Postal Teams den Berg förmlich hochflogen ließen mich innerlich mit dem Kopf schütteln. Klar, die Profis waren kein Maßstab für mich, aber wenn man die Steigung selbst unter den Reifen hat erscheint deren Leistung noch beeindruckender, fast übermenschlich. Ich hatte mir an diesem Tag keine Zeit vorgenommen, ich wollte den Berg nur schaffen, und zwar schaffen ohne zu Schieben. Pausen waren erlaubt, nur nicht Schieben, das war mein Ziel. Angesichts der nicht nachlassenden Steigung war ich mir schon bald nicht mehr sicher, ob sich dieses Vorhaben verwirklichen lassen würde, denn auch die Mittagshitze brannte ohne Erbarmen. Nur selten fand sich ein schattiges Plätzchen zum Pausieren. An eben so einer Stelle, traf ich zwei Holländerinnen, die auf dem Zeltplatz in Bourg d’ Oisans übernachtet hatten und mit ihren Mountainbikes nun wie ich mit dem Berg kämpften. Wir fuhren ein Stück zusammen, doch die Unterhaltung fiel recht einsilbig aus, denn viel Luft zum Sprechen blieb uns nicht.
Nach der siebten Kehre, die Gianni Bugno, dem Sieger von 1990 und 1991, gewidmet ist, legte ich dann eine längere Pause an einem Aussichtspunkt ein. Der Blick ins Tal munterte auf, schließlich lagen schon vierzehn der 21 Kehren hinter mir. Die ersten Kehren der Steigung machen deutlich, warum L’ Alpe d’ Huez als Berg der Holländer gilt. Zoetemelk, Kuiper, Winnen, alle mehrfache Gewinner der Bergankunft in der Skistation, dazu noch Rooks und Theunisse, ihnen allen sind Kehren gewidmet. Alle Kehren tragen Namen und Jahreszahl der Sieger, von Fausto Coppi (1952), bis Giuseppe Guerini (1999). Doch bei der letzten, der Guerini-Kehre war ich noch nicht angekommen. Vorerst verschafften die leichte kühle Brise und das Trinkwasser aus dem nahen Toilettenhäuschen mir die nötige Abkühlung. Neben den Trinkwasserbrunnen bieten auch verschiedene Bäche, die die Straße kreuzen, eine Gelegenheit die Trinkwasserreserven aufzufüllen. Und Wasser ist nötig, denn oberhalb der Baumgrenze ist es trotz der Höhe noch sehr heiß.
Doch egal wie angenehm der Platz auch war, vor mir lagen noch die Herren Hampsten, Conti, zweimal Pantani und der bereits erwähnte Guerini vom Team Telekom. Genauer gesagt die Kehren, die die Namen der Sieger der letzten Jahre trugen. Das Gefühl nach 20 steilen Kehren an der letzten angekommen zu sein, ist fast unbeschreiblich. Ich wusste nun, ich hatte es geschafft. Die letzte lange Gerade, die sich scheinbar endlos bis zum Transparent „Arrivée“ hinzog, schmerzte zwar noch einmal in den Oberschenkeln, doch innerlich hatte ich schon den Platz für die Siegesfotos ausgesucht. Nach mehr als zwei Stunden, cirka dreimal solange wie einst Marco Pantani bei seinem Rekord gebraucht hatte, stand ich an der Ziellinie in Alpe d’ Huez, erschöpft und doch sehr zufrieden. Ich hatte die beiden Berge bezwungen, wegen denen ich diese Reise unternommen hatte. Ich hatte das Flair der Tour aufgesogen und ich war mir spätestens in diesem Moment sicher, dass ich eine der nächsten legendären Etappen live miterleben wollte.
In L’ Alpe d’ Huez war weniger los als auf dem Mont Ventoux, dennoch sah man wesentlich mehr Radfahrer als Autofahrer. Wenig später trafen auch die beiden Holländerinnen an der Ziellinie ein und wir genossen unseren Sieg gemeinsam mit einer Apfelschorle auf der Terrasse eines der zahlreichen Cafes entlang der Straße. Doch anders als die beiden musste ich nicht nur wieder hinunterrollen, ich hatte noch ein cirka 45 Kilometer, bis nach Vizille vor mir. Also machte ich mich um kurz nach 15 Uhr an die Abfahrt, natürlich nicht ohne Helm und den obligatorischen Bremsencheck. Mit der Höchstgeschwindigkeit von 73 km/h mussten auch einige Autos „dran glauben“. Leider dauerte das Vergnügen nicht im geringsten so lange wie die Auffahrt. Als die Uhr 16 Uhr zeigte hatte ich schon in Bourg d’ Oisans eingekauft und war auf dem Weg zurück nach Vizille. Motiviert durch das Erreichte, aber auch mit Hilfe des nun günstiger stehenden Windes hatte ich den letzten Abschnitt dieser Königsetappe schnell hinter mich gebracht. Nur eine gute Stunde später stand ich schon wieder vor dem Hotel und musste dem Maitre in aller Ausführlichkeit – so weit mein Französisch reichte – von den Erlebnissen des Tages erzählen. Er hatte selbst schon die Fahrer der Tour am Anstieg nach Alpe d’ Huez angefeuert und lud mich ein doch zur nächsten Etappe wieder zu kommen. Leider liegt dieser legendäre Berg nicht grade um die Ecke.
Das Abendprogramm fiel entsprechend der Strapazen des Tages recht kurz aus. Nach der Dusche eine Mütze Schlaf, dann ein hervorragendes Abendessen und bald darauf der verdiente Schlaf.
den kompletten Bericht:
www.carstenbohnen.de Die Etappen der Tour de France Von Lyon nach Montelimar - Die längste Etappe durch das Tal der Rhone Über den Riesen der Provence, den Mont Ventoux nach Sault Von kleinen gemeinen Steigungen – der Weg nach Vizille
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