Die Tour de France - privatÜber den Riesen der Provence, den Mont Ventoux nach Sault In Anbetracht der Erfahrungen des Vortages, vor allem der drückenden Nachmittagshitze, wollte ich mich an diesem Tag schon früh auf den Weg hoch zum Mont Ventoux machen. Darum beendete der Wecker schon um kurz vor sechs Uhr die Nacht. Nach einer erfrischenden Dusche – in dem kleinen Zimmer war es nicht wirklich kühl gewesen – ging ich zum Frühstück, das vielleicht wegen der vielen Radfahrer üppiger als sonst ausfiel. Nach dem Frühstück gab es Stau, nicht etwa auf der Straße, sondern vor der Garage. Der Maitre des Hotels fand den Schlüssel für die Radgarage nicht mehr. Doch auch dieses Problem war nach einigem Hin und Her behoben und so konnte das Abenteuer Mont Vontoux beginnen.
Obwohl mitten in der Woche herrschte ein unglaublicher Betrieb. Mit meinem bepackten Rad war ich eine Ausnahme in der großen Schar der Radrenner, die sich an diesem Tag auf den Weg zum Gipfel machten. Anfangs belächelten mich die Kollegen auf den dünnen Reifen, schließlich war ich nicht gerade windschnittig unterwegs mit meinem Gepäck für die einwöchige Radtour. Im Verlauf des Anstiegs machten aber immer mehr Rennradfahrer zusammen mit mir ihre Pausen im Schatten. Dabei traf ich auf einige Deutsche, die mit Mountainbikes unterwegs waren. Bis Kilometer zehn war die Strecke noch recht gut fahrbar, doch ab dann machte mir das Gepäck und sicher auch die mangelnde Vorbereitung zu schaffen. Zu den längeren Pausen gesellten sich immer wieder Stücke, auf denen ich das Rad schieben, oder besser bergan wuchten musste. Erst kurz vor dem Chalet Liotard wurde die Strecke ein wenig flacher. Ich passierte den wohl höchstgelegenen Kreisverkehr der Provence und erblickte dann zum ersten mal seit dem Nachmittag des Vortages deutlich das Observatorium auf dem Gipfel des Mont Ventoux. Flache Strecke hin oder her, der Anblick der noch vor mir liegenden Kehren zwang mich förmlich zu einer längeren Pause, zumal ich wusste, dass hier die letzte Möglichkeit zum „Nachtanken“ vor dem Gipfel war. Hinter dem Chalet blieb die Straße noch kurz flacher, um dann mit dem Schild „Col ouvert“ schmaler und steiler zu werden. Wenig später hatte ich die Baugrenze hinter mir gelassen. Zwar ist die Auffahrt von Süden mit der berüchtigten Steinwüste berühmter, dass hielt die Sonne jedoch nicht ab, mir auch hier unbarmherzig auf den verschwitzten Schädel zu brennen. Doch langsam wirkte das natürliche und erlaubte Doping am Ventoux. Menschen am Straßenrand, Radfahrer auf der Abfahrt und Autofahrer alle motivierten, hupten und munterten mich auf in den letzten harten Kehren des Berges. Natürlich konnte ich mir hier nicht mehr die Blöße geben mein Rad zu schieben. Also kämpfte ich mich mit brennenden Oberschenkeln Umdrehung für Umdrehung nach oben, obwohl ich nebenbei bemerkt zu Fuß ungefähr gleich schnell gewesen sein dürfte. Egal, um kurz nach 12 Uhr wurde ich oben auf der Passhöhe von der Menschenmenge empfangen, als hätte ich grade das „Maillot Jaune“ erobert. Nichts einzubilden, schließlich wurde jeder, zumindest jeder der die Passhöhe aus eigener Kraft erklommen hatte, hier beinahe so empfangen wie Richard Virenque bei seinem Sieg im Jahr 2002. Ich fühlte mich auch wie ein Sieger, auch wenn ich sicher drei- bis viermal solange gebraucht hatte und auf meinem Etappenverlauf nur ein Berg der „Hors Catégorie“ stand.
Nach den üblichen Fotos und einem Gang durch die Andenkenläden auf der Passhöhe rollte ich ein paar Meter weiter zu dem großen Restaurant unterhalb des höchsten Punktes. Von hier aus konnte man hervorragend die Aussicht in Richtung des Mittelmeeres genießen, besonders gut natürlich bei einer gut gekühlten Apfelschorle. Obwohl ich hier noch lange hätte sitzen bleiben können, machte ich mich bald an die Abfahrt. Nach knapp zwei Kilometern erreichte ich das Denkmal für den englischen Radrennfahrer und Profi-Weltmeister Tom Simpson, der bei der Tour de France 1967 an dieser Stelle in der Gluthitze der Steinwüste unterhalb des Ventoux zusammengebrochen und später im Krankenhaus in Avignon verstorben. Trotz der Umstände seines Todes, er hatte einen Cocktail von verbotenen Mitteln geschluckt, übt dieser Ort eine Anziehung auf beinahe alle Radfahrer aus. Auch ich legte hier eine Pause ein und war froh, nicht gejagt vom Peloton diesen Berg bezwingen zu müssen. Am Chalet Reynard, dem Abzweig der D164, die nach Sault führt, legte ich eine Pause ein. Zum einen um in Ruhe einen Blick auf die Karte zu werfen, zum anderen um die Felgen, die während der rasenden Abfahrt hieß geworden waren, ein wenig abzukühlen. Anders als auf dem Gipfel wehte hier im Wald kein angenehmes Lüftchen, so dass ohne den Fahrtwind der Schweiß aus allen Poren floss.
Die weitere Abfahrt über die D164 in Richtung Sault war nicht mehr so steil. Gemütlich ließ ich das Rad durch die Kurven rollen, die Straße war gut, kaum Autos, die die Freude hätten trüben können. Stattdessen entdeckte ich in fast jeder Kurve Menschen beim Picknick. Einige Kilometer weiter öffnete der Wald den Blick auf die Lavendelfelder rund um das Städtchen Sault, die sich schon vorher durch angenehmen Duft angekündigt hatten. Was sich nicht angekündigt hatte und bei weitem nicht so angenehm war, war die harte Steigung hinauf nach Sault. Gut, die Steigung war nicht unbedingt lang, aber schließlich hatte ich gedanklich schon die Etappe abgeschlossen, wollte nur noch in Ruhe eine Unterkunft suchen. Nun ja, zumindest sorgte die Steigung dafür, das ich auf Grund meines gemäßigten Tempos die kleine Tourismusinformation an der Hauptstraße nicht übersehen konnte. Dort bekam ich eine Liste mit den Übernachtungsmöglichkeiten, mit der ich mich auf eine Runde durch den Ort machte. Das erste Hotel erklärte schon mit Hilfe seiner Fassade seinen günstigen Preis, so dass ich dann doch noch ein paar Straßen weiter fuhr, wo ich ein winziges Hotel fand, dessen Chef ich detailliert meine Erlebnisse schildern musste während ich mein Rad in der Garage des Hotels entlud.
Nach der angenehm kühlen Dusche, natürlich mit Lavendelseife, machte ich mich auf den Weg in den Ort. Dort fand ich schnell ein nettes Cafe, genehmigte mir ein Bier im Schatten von Platanen und blickte zurück auf den Mont Ventoux, der friedlich und harmlos in der Ferne lag. Der Abend war dann, nachdem sich beim Abendessen noch ein schwerer Rotwein zu dem Bier gesellte, schon um kurz vor 21 Uhr zu Ende.
Die Etappen der Tour de France Von Lyon nach Montelimar - Die längste Etappe durch das Tal der Rhone Von kleinen gemeinen Steigungen – der Weg nach Vizille Die zweite Köngsetappe, hinauf nach L’ Alpe d’ Huez
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