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Die wechselhafte Geschichte einer kleinen Kirche auf Ibiza. Das Gotteshaus in Sant Antoni hatte sogar Kanonen auf dem Dach., Reiseberichte, Fotos, Bilder, Reiseinformation, Reisetipps weltweit. Schreiben Sie Ihren Reisebericht. Zeigen Sie Fotos und Bilder online. Reiseerfahrung mit anderen teilen!
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Ibiza: Für Gott und gegen die Piraten

2. Kapitel

Besonders dekorativ ist das vergoldete Sakramentshäuschen auf der rechten Seite der Altarempore. Früher bewahrte man darin das gesegnete Brot auf. Und es war üblich, dass der Pfarrer kranke Gemeindemitglieder, die nicht zur Messe kommen konnten, zu Hause besuchte, um ihnen ein Stück davon zu bringen. Ein Ritual, das im modernen Ibiza immer seltener praktiziert wird.

Im hinteren Teil der Kirche ein Kirchenutensil, das eindeutig verwaist wirkt: der Beichtstuhl. „Kein Wunder, wenn er einen etwas verlassenen Eindruck macht“, schmunzelt Pfarrer Ferrer Colomar, „in der heutigen Zeit werden viele Sünden begangen, aber wenige gebeichtet.“ Der Pfarrer kennt seine Schäfchen…

Woher der pausbäckige Engel samt Weihwasserschale stammt, der die Kirchenbesucher am Haupteingang begrüßt, darüber weiß Pfarrer Colomar leider nichts zu berichten. Das barocke Prachtexemplar hat irgendwann im Laufe der Vergangenheit in die rustikale Festungskirche Einzug gehalten, selbst den Historikern gibt er Rätsel auf. Vom Kirchenvorhof aus führt eine schmale Wendeltreppe bis hinauf auf das Dach und zum Wehrturm. Dieser Ort ist für Besucher in der Regel tabu, doch im März soll hier ein besonderes Spektakel geboten werden: Eine der beiden Originalkanonen soll nach langer Abwesenheit wieder auf das Dach zurückkehren. Um diesen Anlass gebührend zu feiern, will das Rathaus in den Räumen des Wehrturms – wo früher Waffen und Kanonenpulver gelagert wurden – eine Ausstellung kostbarer Kirchenschätze präsentieren. Der Blick vom Kirchdach lässt erahnen, an welch strategisch günstigem Standort die Kirche errichtet wurde. Heute muss man den Hals ein wenig recken, um das Meer sehen zu können, da die obersten Stockwerke der Neubauten die Aussicht versperren, doch vor Jahrhunderten muss das Panorama fantastisch gewesen sein: Von hier aus konnte die gesamte Bucht kontrolliert werden, bis hin zur Insel Conejera und weit darüber hinaus.

Am Wehrturm samt Aussichts-plattform und Burgzinnen hat der Zahn der Zeit hingegen nicht genagt, er wirkt nach wie vor wie eine Festung auf der Festung. Und es fällt leicht, sich vorzustellen, wie Wächter von dort aus das Meer und den Horizont beobachteten, um Alarm schlagen zu können, sobald ein Piratensegel gesichtet wurde. Über viele Jahrhunderte bildete die Festungskirche das Zentrum des Dorflebens, und bis ins 18. Jahrhundert war es verboten, in ihrer unmittelbaren Nähe Wohnhäuser zu bauen. Manchmal mussten Gebäude sogar wieder abgerissen werden, weil ein strenger Befehlschef der Armee zu dem Schluss kam, sie seien der Sicherheit abträglich.

Obwohl die Geschichte der Festungskirche Sant Antoni von Historikern und Architekten eingehend studiert wurde, birgt sie Geheimnisse, die bis heute nicht gelüftet werden konnten. So ist man sich nicht einig darüber, welcher Teil der Kirche zuerst erbaut wurde. War es der Festungsturm, der auf den ersten Blick wie der ältere Teil der Kirche erscheint? War es das Kirchenschiff? „Bis vor wenigen Jahren dachten wir, der Wehrturm sei älter, doch inzwischen halten wir es für wahrscheinlicher, dass das Kirchenschiff zuerst entstand“, meint der Historiker Antonio Ferrer Abàrzuza.

Für diese Hypothese spricht, dass es bei Erteilung der Baugenehmigung durch den Erzbischof Roderic noch keine dringende Notwendigkeit für die Errichtung eines Wehrturms gab, da feindliche Angriffe erst in den darauf folgenden Jahrhunderten zur ständigen Bedrohung wurden. Sicher ist hingegen, dass es in der Kirche Sant Antoni 1683 größere Bauarbeiten gegeben hat, und so kann man wohl davon ausgehen, dass die Landkirche erst in dieser Epoche zur bewaffneten Festung ausgebaut wurde.

„Letztendlich könnten nur Ausgrabungen Gewissheit bringen, doch wer will schon damit anfangen, den Kirchenboden aufzureißen?“, resümiert Historiker Ferrer. Ebenso wenig geklärt ist, welcher Architekt für den Umbau zur Festungskirche verantwortlich war. Die Historiker hoffen darauf, beim Studium alter Dokumente irgendwann einmal auf eine entsprechende Information zu stoßen.

Lassen wir dem alten Gemäuer bis dahin seine Geheimnisse, wenden wir uns lieber einem anderen Highlight der Kirche zu: In seinem Pfarrbüro hütet Vicente Ferrer Colomar ein umfangreiches Kirchenarchiv. Die mit Tinte geschriebenen Tauf-, Heirats- und Sterberegister legen Zeugnis über das Leben und Sterben der alt eingesessenen Familien der Gemeinde ab: Die Ribas, die Prats, die Salas, die Bonets, die Cardonas und andere. Zwar sind sie schwer zu entziffern, aber mit ihrer Hilfe und ein wenig Geduld könnten moderne Ibizenkos aus Sant Antoni ihren Stammbaum bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen.

Die Bibliothek der Kirchengemeinde überrascht mit einer Auswahl an schön gebundenen antiken Bücher, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Buchsammlung der Dominikanermönche in Dalt Vila stammen. Es finden sich Theologiebücher der katholischen Kirche, Geschichts- und Mathebücher oder Lexika, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert gedruckt wurden. Ob Historiker der Festungskirche Sant Antoni jemals die letzten Geheimnisse entlocken werden, steht in den Sternen. Doch eine Anekdote der Vergangenheit verewigten die Ibizenkos in einem ihrer traditionellen Volkslieder, das bis ins 21. Jahrhundert überliefert worden ist. In diversen Reimen wird über die Heldentaten eines wagemutigen Kanoniers berichtet.

Das Ereignis soll sich Anfang des 19. Jahrhunderts zugetragen haben, als die Angriffe von Piraten und anderen Räubern bereits seltener wurden. So heißt es, dass die Wachleute vom Dach der Festungskirche aus ein feindliches Boot gesichtet hatten, sie luden ihre Kanonen und nahmen die Angreifer unter Beschuss, aber ihre Kugeln verfehlten das Ziel um Längen, schon weit vor dem Hafenbecken plumpsten sie zu Boden.

Ein Kanonier der Armee, der sich gerade im Dorf aufhielt, kam den erfolglosen Kollegen zu Hilfe. Als die Anwesenden sahen, mit welcher Menge Pulver der Soldat die Kanone stopfte, sollen sie entsetzt gerufen haben: „Tu es nicht, das Ding wird uns um die Ohren fliegen!“ Doch der Kanonier war kein Hasenfuß! Er ließ sich nicht beirren, mit den Worten, er verstehe mehr vom Pulver, als sie alle zusammen vom Brotessen, gab er Zunder. Das Glück war mit den Mutigen, die Kanone explodierte nicht, die Kugeln erreichten ihr Ziel, die Feinde suchten das Weite.

Sie, liebe Leser sollten nicht das Weite suchen, wenn Sie demnächst in die Nähe von Sant Antoni kommen. Gerade in der Vorsaison zeigt die Ortschaft ihren ganzen Charme: Überzeugen Sie sich von der Einzigartigkeit der Festungskirche, machen Sie es sich in einem der Hafencafés gemütlich, lassen Sie sich vom müßigen Treiben an der Hafenmole einlullen – und träumen Sie dabei von räuberischen Piraten, die in die Bucht einsegelten – und vom waghalsigen Kanonier, der vom Dach der Kirche aus den Freibeutern die Kanonenkugeln um die Ohren schoss…
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Autor: Dieter
erstellt: 27.03.2006
gelesen: 3628 mal
Stichworte: Ibiza, Spanien, Balearen
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