Teatime auf MadeiraAnsonsten ist das elegant-leger gekleidete Publikum wohlgesittet: in der
Mehrzahl Leute, die “es geschafft haben”; kein Kindergebrüll, denn die eigene
Brut, so vorhanden, ist längst erwachsen. Die Gäste sehen nicht erschöpft aus
von Arbeit oder den hier so beliebten exzessiven Inselwanderungen, bei Wind
und Wetter im wasserdichten Anorak, oder gar von langen Spielcasinonächten.
“Industrielle und viel Adel”, raunt mir später Nelson zu, als ich versuche,
ihn auszuhorchen. Namen nennt er natürlich nicht. Ganz normale Voyageure:
Ehepaare, zum Beispiel, die sich nichts mehr zu sagen haben. Sie liest Stephen
King, er Zeitung.
Ein Damenkränzchen war zu Besuch beim letzten österreichischen Kaiser, der
in einer schäbigen Exilkiste in der armseligen Kirche des Bergdorfes
Monte modert- aber wenigstens mit grandiosem Meerblick. Talwärts fuhr
man mit den traditionellen Korbschlitten, gelenkt von ruppigen Gesellen,
schmuddelig weißgewandet, auf dem Kopf ein Strohhut, Modell Kreissäge.
In der Ecke der Terrasse ein griesgrämiger Herr mit Embonpoint. Warum
hat er so schlechte Laune? Denkt er etwa an die weltschlechteste Pizza
im Yachthafen von Funchal? Oder an andere Teller-Frugalitäten? Essen und
Trinken auf Madeira außerhalb der Nobelhotels würden Wolfram Siebeck
wöchentlich mindestens drei Schlaganfälle bescheren (wo Engländer jemals
-und sei es in grauer Vorzeit- einen Fuß hingesetzt haben, hinterlassen
sie anscheinend eine kulinarische Wüste: links auf dem Teller fades
insulares Mischgemüse, rechts undeliziös Fisch oder Fleisch; an den
-meist- horriblen portugiesischen Weinen sind sie schuldlos. Und da es
Sherry von Sandeman gibt, ist auch der Madeirawein höchst entbehrlich).
Ein japanisches Trio nimmt zur Teezeremonie an einem Ballustradentisch
Platz. Alle in Kenzo-Schwarz, die Dame sogar bodenlang; alle stumm und
alle mit Leichenbittermiene. Ich freue mich auf ein Harakiri zur
Abwechselung, aber es bleibt aus. Obwohl die Filmkulisse perfekt ist,
gehen keine Scheinwerfer an, und kein Regisseur ruft: “Action, please!”
Es fehlen die Stars. Winston Churchill, der des öfteren im “Reid’s”
logierte, trinkt hier schon lange keinen Tee mehr. Wir Statisten bleiben
unter uns.
Niels Höpfner niels.hoepfner@bigfoot.com
Freilufttee Maître de thé
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