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Tokio / Tokyo

Besuch einer Saftbar

Der eigentliche Feind Nippons ist die Bakterie. Schon in mikrobiologisch friedlichen Zeiten bewehren die Japaner ihre Atmungsorgane mit einem Mundschutz. Tokio ist so sauber, dass man sein Essen ohne gesundheitliche Folgen auch von der Strasse kratzen kann. Der ubiquitaere Keim hat hier keine Chance.

Flora und Fauna sind im Land der aufgehenden Sonne schon lange bezwungen. Nichts hasst der Japaner mehr als freie Natur, die sich selbst ueberlassen ist. Eine natuerlich spriessende Pflanze ist den Erfindern von Bonsai und Ikebana ein Dorn im Auge. Alles ist beschnitten, gestutzt, verkuenstelt, gentechnisch manipuliert. Selbst der wilde Strauch auf dem Mittelsteifen einer Autobahn fristet ein quadratisches Dasein.

Der Traum eines Japaners: ein Bonsaigarten mit einem kuenstlichen Teich aus destilliertem Wasser indem ein paar Koifische vegetieren. Etwa so, wie der Garten im Hof meines Hotels im Zentrum von Tokio. Die Buesche sind hier allerdings nicht quadratisch, sondern rund geschnitten. Und statt Blueten zieren Millionen Leuchtdioden die Pflanzen. Das sieht nachts wirklich sehr heimelig aus.

Ein paar Schritte vom Hotel entfernt befindet sich die Saftbar. Das Portal oeffnet automatisch. Ich betrete einen weißen Raum, der so sauber ist, dass man hier ohne weiteres Mikrochips herstellen kann. Drei vollkommen aseptische Wesen in weißen Kitteln und unter Haarschutz strahlen mich an. Dass es hier naturbelassenen Saft gibt, entnimmt man allenfalls den Bilddarstellungen vor den hochreinen Fluessigkeitsbehaeltern.

Die Zubereitung findet indes in einer Art Hochsicherheitstrakt statt. Kein Einzeller hat diesen Raum je gesehen. Abgeschirmt hinter Panzerglas arbeiten unter Laborbedingungen die Saftzubereiter. Auch hier keine Spur von Apfelsine oder Karotte. Diese lagern wiederum in einem Tresor aus blitzblanken Stahl. Ein digitales Thermometer gibt Auskunft ?Eer die Lagerbedingungen. Nur bei Bedarf geht dieser sterile Obstsarg auf. Doch auch in diesem entscheidenden Moment sucht das Auge vergeblich die ganze Frucht. Zum Vorschein kommen lediglich sorgsam abgepackte Portionen in vollkommen sterilen Plastiktuetchen.

Die Saftzubereiter, vermitteln den Eindruck, mindestens in Pharmazie promoviert zu haben. Sie sind umgeben von klinischen Seziermessern, Pipetten, Reagenzglaesern, Hochpraezisionswaagen und speziellen Zangen. An diesem Ort kann man ohne Probleme auch eine Notoperation wagen. Je nach Kundenwunsch treten sie in Aktion. Die Japaner lieben fein abgestimmte Saftmischungen, um ihren Vitaminbedarf abzudecken.

Ich entscheide mich für einen Cocktail aus Apfelsine, Karotte, Petersilie, Walnuss, Spinat und irgendwelchen geheimisvollen Tinkuren. Die Mixtur verfehlt ihre Wirkung nicht. Wenige Minuten nach Einnahme ist meine Jetlag Muedigkeit wie weggeblasen...
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Autor: Weltreisender
erstellt: 05.02.2005
gelesen: 26964 mal
Stichworte: Japan, Tokio, Stadt
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